Yoga und Nachhaltigkeit - Wie passt das zusammen?

In den letzten Monaten bin ich gefühlt tausendmal am selben Punkt angelangt und habe mir oft die gleichen Fragen gestellt: Soll ich meine Gedanken überhaupt noch mit der Welt teilen? Will ich weiterhin schreiben und das Geschriebene an andere Menschen weitergeben? Ich könnte doch einfach still sein und auch nichts dergleichen tun. Was ich denke und fühle, für mich behalten. Vielleicht wäre das der nachhaltigste Weg überhaupt – still zu sein. Aber ich kann es irgendwie nicht. Ein Teil von mir will nach Aussen dringen. Ein anderer tief zum Kern vorstossen. Vielleicht liegt es in unserer Natur, dynamisch zu sein. Zu tun, was die Intuition uns gerade zu spüren gibt und sich richtig anfühlt. Zu sagen, was es zu sagen gibt. Ich kann noch nicht still sein. Also denke, schreibe und rede ich. 

Im Folgenden werde ich dir einen Teil meiner Gedanken zur Verfügung stellen. Gedanken zu einem Thema, von dem ich überzeugt bin, es könnte die ganze Welt verändern, würde sich die Menschheit tiefgründiger damit auseinandersetzen.
Du kannst gerne zuerst nach unten scrollen – der Text ist etwas länger und bedingt einen wachen Verstand und etwas Mut, sich und sein Verhalten zu hinterfragen. Würde ich wollen, dass möglichst viele Menschen diesen Text lesen, würde ich ihn verkürzen, alles «halb so wichtige» weglassen und das Geschriebene so zusammenpressen, dass es in die Zeit passt, in der wir uns gerade befinden. Kurz, oft oberflächlich und im Grunde austauschbar. Aber das tue ich nicht. Denn genau dieses Verhalten lässt uns die Probleme nicht lösen, sondern nur behandeln. Als ehemaliger Krebspatient weiss  ich, dass einfach nur an der Oberfläche kratzen nicht ausreicht, um ein Problem zu lösen. Auch wenn viele noch daran glauben, es würde reichen, reaktiv in einem Sessel zu sitzen und darauf warten von einer anderen Person geheilt zu werden. So funktioniert es nicht, wenn wir nach ganzheitlichen und nachhaltigen Ansätzen suchen wollen. 
Ich muss mit diesem Blog auch keine Freunde finden oder Befürworter gewinnen. Im Grunde ist es mir egal, was du damit anfängst. Es ist deine Sachen.
Im wahrsten Sinne des Wortes geht es hier um Selbstinitiative. Ich kann nichts für dich tun, solange du nicht selbst bereit bist, etwas für dich zu tun. Ich bewerfe dich hier mit der Tatsache, dass nur du etwas ändern kannst. Egal, um welches Thema es geht. Du bist der Anfang und das Ende. Dein Bewusstsein, dein Verstand und dein Geist gehen allen Taten voraus. Das musst du einfach verstehen. Alles ist geistiger Natur. Es kann nicht anders sein. Verstehst du das, verstehst du auch das Leben. 
Zudem will ich dir in diesem ersten Beitrag dieser Blogreihe «Yoga» ein für mich nachhaltiges System näherbringen. Ich habe versucht, das Thema Yoga in das Licht der Nachhaltigkeit zu setzen und will dir aufzeigen, dass das, was vor geschätzt 4000 Jahren geschrieben wurde, in der heutigen Zeit genauso relevant ist, wie es damals war. Das ist auch das wunderschöne, an den Schriften des Yoga. Sie wurden nicht für die Zukunft geschrieben, sondern für den Moment im Hier und Jetzt. Egal, in welcher Zeitepoche wir uns befinden. Sie sind universell anwendbar und immer und allzeit relevant. 

Nun komm, setzt dich an diesen schönen Tisch inmitten des Regenwaldes in Südindien, nimm dir ein paar Minuten Zeit und lass mich dir etwas über Yoga erzählen. Was meinst du? Bist du dabei?

Eine kurze Reise durch die Geschichte des Yoga

Yoga bedeutet Einheit, Verbunden sein, Einssein. Yoga hat keinen Anfang und auch kein Ende. Yoga ist ein Zustand, der nicht in Raum und Zeit existiert, sondern darüber hinaus geht. Wir können zwar schätzen, wann die ersten Mythen und Schriften über eine Lehre entstanden sind, die uns zu Yoga führen, aber das Yoga selbst lebt nicht von der Geschichte. Yoga ist jetzt. Yoga tut man nicht, man ist es. Ein Yogi steht nicht um 6 Uhr morgens auf und macht Yoga. Er lebt Yoga, denn sein Leben ist Yoga. Seine Yogapraxis ist nur sein Tool, um auf dem Weg zu bleiben. Aus der yogischen Perspektive ist Yoga das Leben an sich. Und dieses Leben existiert nur in einem einzigen Moment – dem Hier und Jetzt. Aus der Sicht des Yoga gibt es keine Vergangenheit genauso wenig wie es eine Zukunft gibt. Es gibt nur diesen kontinuierlichen Moment, der sich unendlich lange ausdehnt. Immer und immer wieder. Yoga ist das, was einmal war. Das was ist und das, was immer sein wird. Um Yoga zu verstehen, bedarf es dem Verständnis, dass alles «jetzt» ist und es nur diesen einen Moment gibt. Du liest es doch überall. «Sei im Moment» oder «du musst im Hier und Jetzt sein, um glücklich zu sein». Aber nur die wenigsten, die solche Sätze von sich geben, dies auf Papier drucken oder irgendwo posten, geben dir eine Praxis mit auf den Weg, die das auch schafft, dieses “Hier und Jetzt” wahrzunehmen. Vom Sagen und Hören allein, ist selten etwas geschehen. Es bedarf einer Umsetzung. Und genau das ist die Praxis von Yoga. Und ich spreche nicht vom Yoga Studio oder der Breathwork Klasse, die wir einmal in der Woche besuchen. Ich spreche von der Kunst im Yoga zu leben. Du musst nicht eine Yogaklasse besuchen, um ein Yogi zu sein oder dich verbunden zu fühlen. Du musst nur herausfinden, wer du bist. Im Grunde ist es super simple. Dennoch für viele fast unerreichbar. 

Ein Mensch, der im Einklang mit Yoga lebt, handelt im Einklang mit sich selbst. Und dieser jemand, der mit sich selbst im Einklang ist, geht dementsprechend auch so mit seiner Umgebung und am Ende mit der ganzen Welt um. Das ist die Nachhaltigkeit, die wir so dringend benötigen. 
Wenn wir Yoga als Praxis betrachten, die dafür entwickelt wurde, unser Nervensystem und unseren Intellekt neu zu formen, damit wir mehr aus Liebe, Mitgefühl und Fürsorge handeln können, reden wir von einer Kunst, einer Wissenschaft, einer Philosophie und einer Vision. Die Lehre des Yogas beinhaltet jeden Aspekt des Lebens. Ganz und gar unabhängig wer wir sind, woher wir kommen, welcher Religion wir folgen oder ob wir reich, arm, weiss oder farbig sind. Die Yogapraxis ist eine ganzheitliche und vor allem nachhaltige Praxis, die sich auf alle Ebenen des menschlichen Körpers auswirkt. Körperlich, energetisch, mental und spirituell. Yoga ist ein Zwei-Weg Prozess. Nach innen blickend und nach aussen tragend.

Das Ziel der Praxis ist die Erfahrung der Einheit, des Selbst also des «Sehers» an sich. Zu erkennen, wer durch das Ohr hört, aber vom Ohr selbst nicht gehört werden kann. Die Yogapraxis hilft uns unseren Intellekt zu verfeinern und die unnötigen und so oft limitierenden Verhaltensmuster und Programmierungen zu erkennen und zu benennen, damit diese verändert werden können. So wird es einem Menschen möglich, sich selbst als den «Seher» zu erkennen, seine eigenen Gedanken zu beobachten und zu kontrollieren. Die Herrschaft des Egos aufzulösen und den eigenen Verstand und Geist zu meistern. Wer Meisterschaft sucht, findet sie in Yoga. Keine Wissenschaft und kein Studium können dir diese Meisterschaft beibringen. Kein Buch kann dir über die Tiefe erzählen, die du im Yoga finden kannst. Nur wenn du dich auf den Weg machst, kannst du Yoga erfahren. 

Man geht davon aus, dass die Praxis von mehr als 6000 Jahren in Subkontinent Indien ihren Anfang nahm. Im Kern der Praxis steht die Frage «Wer bin ich?» oder «Warum bin ich hier?», «Warum tue ich, was ich tue?». Die Lehren des Yoga beschäftigen sich mit unserer wahren Existenz. Dem, was der Welt der 10000 Dinge zugrunde liegt. Der Welt, die vor der Materie und der Dualität vorhanden war. Der Ebene, welche die Grundlage aller Existenz ist.
Aber auch die Suche nach der Bedeutung und dem Sinn dieses Lebens. Der heutige Dalai-Lama antwortet auf die Frage, was denn der Sinn des Lebens sei, mit folgendem Satz: «Ich glaube, der Sinn des Lebens, ist es, glücklich zu sein». Doch wer will glücklich sein? Diese Frage versucht man durch die Praxis des Yoga für sich persönlich zu beantworten. Woher kommt dieser „Ich-Gedanke“ überhaupt. Wer die Antwort weiss, findet Freiheit. Wer Freiheit findet, lebt in Verbundenheit. Und wer verbunden ist, kann lieben. Und wer liebt, ist eins. 
In den Vedas, die uns ältesten noch vorhandenen Schriften der altindischen Hochkultur, handelt die Diskussion, wie man den Wert des Lebens immer mehr verfeinert, um schlussendlich zu innerer Weisheit und Selbsterkenntnis zu gelangen. Die grossen Yogis sagen: "Wenn du einmal weißt, wer du wirklich bist, wird alles andere Wissen von ganz allein zu dir kommen." Dies ist eine der Kernaussagen aus den Upanischaden (ein Teil der Vedas). 

Asthanga Yoga

Im Folgenden möchte ich dir kurz Patanjali vorstellen. Der Verfasser der klassischen Yoga Sutras. Patanjali war ein weiser Lehrer aus dem alten Indien, der sich mit Buddha, Lao Tse oder beispielsweise Socrates vergleichen lässt. Er spricht hauptsächlich über Meditation und wie durch Meditation die Meisterschaft über das Leben und den Tod und alles darüber hinaus erreicht wird. Patanjali schreibt in seinen Sutras (Texten) unter anderem über die 8 Stufen des Asthanga Yoga, die ich später genauer erläutern werde. Diese 8 Stufen sind in meinen Augen der Inbegriff von echter Nachhaltigkeit - der Grund warum ich diesem Text überhaupt schreibe.

  1. Yama (bewusstes äusseres Agieren)

  2. Niyama (bewusstes inneres Agieren)

  3. Asana (Bezug zum Körper)

  4. Pranayama (Bezug zur Energie)

  5. Pratyahara (Kontrolle über die Sinne)

  6. Dharana (Beherrschen von Konzentration)

  7. Dhyana (Meditation)

  8. Samadhayah (Einssein).

Meiner Meinung nach ist die Auseinandersetzung des Asthanga Yoga eine Grundvoraussetzung, wenn wir eine nachhaltige Welt schaffen wollen. 
Als ich die Yoga Sutras in den vergangenen Jahren immer und immer wieder gelesen, gehört und studiert habe, stellte ich unweigerlich fest, wie sehr die Welt genau jetzt, in dieser Zeitepoche, dieses Wissen benötigt. Und nicht nur die, die sich für Yoga interessieren, sondern ich spreche wirklich von allen Menschen. Somit auch von Dir. 
Wir dürfen diese acht Aspekte oder Stufen, wie sie oft interpretiert werden, nicht als aufsteigende Stufen sehen, sondern müssen vielmehr derer Zusammenspiel verstehen. Entwickelt man eines der Aspekte, so folgen alle anderen. Die 8 Aspekte sind keine Ziele, sondern sie sind der Weg an sich. Integrierst Du diese Aspekte in Deinem Leben, dann garantiere ich Dir zu 10000 % Erfolg. Egal, wie Du diesen definierst. Es macht Dich zu einem liebevolleren Menschen. Schritt für Schritt. «Jeden Tag 1 %». Ungefähr so darfst Du Dir das vorstellen. Wobei 100% nicht das Ziel ist. Die Eins steht vielmehr dafür, dass Du anfängst zu gehen und Dich nicht länger im Kreis drehst. Die Eins ist der Anfang, aber auch das Ende. Verstehst du das?

Wie ich bereits zuvor erwähnt habe, liegt der Nachhaltigkeit oder einer nachhaltigen Handlung etwas zugrunde. Das nachhaltige Denken muss schliesslich irgendwo entstehen. Als Grundvoraussetzung für das Verständnis gelten in diesem Zusammenhang die Yamas und die Niyamas. Das navigieren mit der Inneren und äusseren Welt. Eine Art Landkarte für das richtige Handeln. Ohne zu wissen, wie zu navigieren, kann man auch nicht wissen, wie man denken oder handeln soll. Die Yamas und Niyamas von denen wir heute einzig die Yamas näher betrachten, sind keine moralischen oder ethische Grundsätze, wie sie so oft interpretiert werden. Es sind Bewusstseinszustände, die notwendig sind, um ein wahrlich erfülltes Leben zu leben. Die daraus resultierenden Handlungen werden dann ganz natürlich nachhaltiger sowie moralisch und ethisch vertretbarer. Die Yamas und Niyamas sind also KEINE moralische und ethische Lehren. Es sind Qualitäten, die es sich lohnt zu kultivieren, um friedvoll und erfüllt zu leben, um eine nachhaltige Welt erschaffen zu können. Moral und Ethik sind resultate harmonischer Ausgeglichenheit des eigenen inneren Zustandes.
Asana und Pranayama sind die Lehren des Körpers und der Lebensenergie, dem Prana oder Qi, wie es aus dem Osten bekannt ist.
Pratyahara und Dharana beinhalten die Lehren und Techniken, die uns zeigen, wie wir unsere Sinne beherrschen, um tiefe Konzentration und Aufmerksamkeit erlernen zu können. Damit es uns überhaupt möglich ist, in die Tiefe der Meditation, Dhyana, zu fallen, um unsere wahre Natur zu erforschen und uns der Fragen heranwagen, wer wir wirklich sind. Samadhayah oder auch Samadhi beschreibt schlussendlich den Zustand des Einsseins. Das Erkennen des Selbst. Das Sehen, des Sehers. Sich dem Bewusstsein selbst bewusst zu werden. In dieser Erfahrung erfährt der Übende, dass der Zustand, die Praxis und die Erfahrung von Yoga, alle dasselbe sind. Yoga wird nicht mehr praktiziert, sondern man ist Yoga – mit allem Verbunden. Am Ende gibt es keinen Weg und auch keine Praxis oder Übungen. Einfach Sein ist alles, worum es im Yoga geht.

Die Yamas – Das bewusste äussere agieren

Heute werde ich dir nur das erste Yama «Ahimsa» genauer vorstellen. Mit der obigen Einführung ist das wahrscheinlich genug Stoff zum nachdenken. Wie bei so vielen philosophischen Betrachtungsweisen sind einzelne Übersetzungen nicht wortwörtlich zu übernehmen. Z. B. bedeutet das 5. Yama Aparigraha (Besitzlos sein) nicht, dass du keine materiellen Dinge mehr haben solltest. Sondern es bezieht sich auf die Energie, die dem «etwas besitzen zu wollen» zugrunde liegt. Das Gleiche gilt für das 1. Yama Ahimsa (Gewaltlosigkeit).

Die Yamas werden wie folgt aufgeteilt:

Ahimsa – Gewaltlosigkeit

Satya – Wahrheit

Asteya – Nicht stehlen

Brahmacharya – Enthaltsamkeit

Aparigraha – Besitzlos sein

 

Ahimsa – Die Gewaltlosigkeit

Ahimsa bedeutet die Transzendenz von Gewalt - Gewaltlosigkeit. In vielen Interpretationen wird bereits dieser erste und unglaublich wichtige Aspekt der fünf Yamas unterschätzt. Viel zu schnell wird oberflächlich darüber hinweggeblickt. Man könnte denken: "Ich bin nicht gewalttätig, also habe ich diesen Teil bereits in mir kultiviert und muss ihn nicht weiter erforschen." Es geht aber hierbei um einen gewaltlosen Zustand in allen Aspekten. Man könnte fast sagen, dass jemand, der nicht den Bewusstseinszustand der Einheit in sich erforscht hat, auf einem bestimmten Level immer gewalttätig ist. Solange wir uns bewusst oder unbewusst dazu gezwungen fühlen, einer Nation, einer Religion, einer Partei, einer Lehre oder z. B. einer speziellen Gruppierung anzugehören, werden wir früher oder später auf Konflikt stossen. Wenn ich glaube, dass die Religion, der ich zugehöre, der Wahrheit entspricht, muss es auf der anderen Seite eine Glaubensrichtung geben, die nicht der Wahrheit entspricht. Also stehe ich hier im Konflikt. Konflikt ist nichts anderes, als eine Vorstufe von Gewalt, die unter Umständen in gewaltvollen Gedanken oder sogar Handlungen endet. Sobald wir uns als etwas identifizieren oder uns einer Sache anschliessen, ohne unseren Intellekt geschult zu haben, wird das früher oder später ein Akt von Gewalt auslösen. Wir sehen das besonders gut z. B. in der Politik. Ich spreche hier aber nicht einzig und allein von körperlicher Gewalt. Ich spreche vielmehr von gedanklicher, geistiger und emotionaler Gewalt, die der körperlichen Gewalt immer vorausgeht. Welche viel subtiler und aggressiver wirken kann. Sie bündelt Energien und staut sie, bis wir ins Handeln kommen. Ahimsa bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes Einheitsbewusstsein. Also das Gegenteil von Separation und Getrennt-Sein. Einfach gesagt, kann nur ein Mensch, welcher sich dazu entscheidet wahre Liebe, Dankbarkeit, Freude und Mitgefühl in seinem Leben zu kultivieren, Ahimsa erfahren. Das Kultivieren dieser Zustände führt uns von ganz alleine zu einem Punkt, an dem wir weder mentale noch körperliche Gewalt gegen andere und uns selbst anwenden möchten. Dies heisst zwar noch nicht, dass wir es nicht tun, aber der Wille geht dem Akt voraus. Kann in einem Zustand von Liebe, Dankbarkeit, Mitgefühl, Barmherzigkeit und Freude überhaupt Gewalt entstehen? Nein, denn es ist nicht der Nährboden für Gewalt. Zumindest nicht für einen Akt getrieben aus Hass, Wut und Agressivität. Man darf das erste Yama also nicht wortwörtlich nehmen. Es bedeutet nicht, dass wir uns nicht wehren dürfen, wenn wir z. B. körperlich angegriffen werden. Und es bedeutet auch nicht, dass es falsch wäre, sich zu verteidigen oder in einem notwendigen Moment auch anzugreifen. Es geht einzig und allein darum, sich seinem Bewusstseinszustand bewusst zu sein, bevor man eine Handlung ausübt. Befindest du dich im Zustand des Yoga, im Zustand von Ahimsa, also in der Einheit mit dir, der Welt, dem Universum, dann handelst du nicht aufgrund von gewaltsamen Gedanken, sondern vielmehr infolge von Naturgesetzen. Du verteidigst deine endliche Hülle bzw. dein Körper. Punkt. Doch wenn du dich aufgrund von Hass, Gier oder beispielsweise Missgunst verteidigst oder jemanden sogar körperlich oder verbal attackierst, weil du nicht derselben Meinung bist, dann handelst du aus einem niederen Bewusstseinszustand. Ein Zustand, der dich von wahrer Liebe, Freude, Mitgefühl und Glück weiter und weiter entfernen lässt. Ein Akt wird immer von der Energie getrieben, die hinter ihr steckt. Die Energie oder die Intention sind immer zuerst. Ist sie frei von oder erfüllt von Wut, Hass, Missgunst usw. Ist deine Intention frei davon, handelst du im Einklang mit dem ersten Yama – der Gewaltlosigkeit. 

Beim Kultivieren von Ahimsa müssen wir verstehen, dass alles, was wir durch unsere Sinne wahrnehmen können, von der gleichen Quelle kommt. Den gleichen Ursprung hat. Dass wir alle, ob Mensch, Tier oder Pflanze auf den feinsten Ebenen, miteinander verbunden sind. Teil des Ganzen sind. Wir müssen verstehen, dass alles, was existiert, irgendwo seinen Ursprung haben muss, und wir sind ein Teil dieses Ursprungs. Jede Tanne, jede blühende Blume in Frühling, jedes kleine lachende Kind, jeder kämpfende Soldat im Krieg sowie jeder weitere Mensch auf der Welt und jedes Objekt welches in Erscheinung tritt. Und wenn das erkannt wurde, dann kann sich Liebe wirklich ausbreiten. Und wo Liebe ist, da ist auch Ahimsa – Gewaltlosigkeit. Jemand der im Zustand von Ahimsa ist, antwortet und verhaltet sich in jeder Situation genau richtig. Genauso, wie es gerade notwendig ist. Ich spreche nicht von der einfachen Reaktion in einer bestimmten Situation. Ich spreche vom richtigen Verhalten, dem richtigen Handeln, welches in dessen Basis gewaltlos ist. Das bedeutet: Wenn der Moment von dir verlangt, dass du frei bist wie ein Vogel, dann bist du das. Wenn eine Situation von dir verlangt, standhaft zu sein, dann tust du das. Wenn du dich körperlich verteidigen musst, dann tust du das auch. Aber immer aus einem Standpunkt der Gewaltlosigkeit. Ein Zustand innerer Freiheit und Klarheit. Frei von Wut, Hass und Mistgunst. So zu handeln bedeutet intuitiv und spontan die richtige Handlung zu begehen. Spontan richtiges Handeln bedeutet verbunden mit der Intuition zu sein. Und aus der Intuition handeln, bedeutet verbunden mit deinem tiefsten Kern zu sein, deinem wahren Selbst – mit dem, was du in deiner Essenz bist – reines Bewusstsein.

Damit wir ein erfüllteres Leben haben können, müssen wir die Gewaltlosigkeit praktizieren. Gewaltlosigkeit in unseren Gedanken, in unseren Handlungen, in unserer ganzen Identität kultivieren. Wir müssen uns bewusst über unsere Taten sein. Genauso müssen wir sehen können, von wo unser Verhalten herkommt. Wir müssen lernen, genau zu beobachten, woher unsere Gewohnheiten kommen. Kommen sie aus dem Kern unseres Selbst, welcher die gleiche Essenz ist, wie die aller Lebewesen, oder aus dem Ego? Eines ist klar. Gewohnheiten, die vom Ego kontrolliert und genährt werden, führen immer zu Gewalt. Das Ego kann nur existieren, wenn eine Grundangst vorhanden ist. Die Angst vor dem Sterben. Gäbe es keine Angst, dann bräuchte es kein Ego. Das Ego beschäftigt sich hauptsächlich mit “Ich, Ich, Ich” und hat Angst vor dem Nicht-Existieren und dem nicht gesehen zu werden. Alles dreht sich um einen selbst. In einer sehr isolierten und einsamen Form. Das Ego urteilt und kritisiert die ganze Welt, nur um seine Existenz zu begründen und dir weiss zu machen, dass nichts wichtiger ist, als es/du selbst. Dies ist der Gewalt sehr ähnlich. Es ist mentale und psychische Gewalt gegen dich selbst.
Was wichtig ist, ist zu versuchen, sich permanent dessen gewahr zu sein, dass wir alle eine Tendenz zur Gewalt in uns haben. Sich selbst zu beobachten und sich in der Praxis der Gewaltlosigkeit zu üben. Wie mache ich das? Es beginnt damit, zu üben, sich nicht vom Ego und dessen Verlangen steuern zu lassen. Zu sehen, wenn der Ego-Teil von dir aufkommt und versucht, die Macht zu übernehmen. Zu erkennen, wenn es beginnt, sich mit allen zu vergleichen. Zu realisieren, wenn es versucht, die eigenen Taten hochzuhalten. Zu sehen, dass dies nur Selbsthass und Selbstmanipulation auslöst. Zu erkennen, wenn du dir gerade selbst wieder irgendeine Ego-Geschichte erzählst und das Gefühl hast die Welt ist an deinem Leid beteiligt oder sogar Schuld. Wenn wir das sehen können, werden wir von ganz allein damit aufhören, die Schuld an allem, was gerade in unserem Leben geschieht auf jemand anderen zu schieben. Oder ständig die Opferrolle zu spielen und sich selbst zu sagen, wie schwer doch das eigene Leben ist. Oder wie unglaublich unfair meine Familie zu mir. Je mehr wir über die Welt oder andere Menschen urteilen, desto schwieriger wird es für uns, den Moment so zu akzeptieren und wahrzunehmen, wie er gerade ist. So zu leben kommt dem Selbstmord sehr nahe. Du betrügst dich deiner wahren Natur. Und das kann nur schmerzhaft sein.

Ein gewaltloser Geisteszustand sowie die Praxis der Gewaltlosigkeit, körperlich und mental, hat auch einen grossen Einfluss auf die Art und Weise wie wir beispielsweise konsumieren. Wenn der Zustand von Yoga oder Einheit sich durch Praxis in uns festigt, kommt Ahimsa von ganz allein. Ahimsa kann sich nur in unserem Wesen ausbreiten, wenn wir näher zu Yoga finden. Näher zu uns selbst. Verbunden mit unserer Intuition sind. In einem Zustand von Gewaltlosigkeit verändert sich die Art und Weise, wie wir unser Geld ausgeben, wie wir unsere Zeit nutzen und wie wir mit dem Planeten umgehen. Wenn Yoga eintritt und Ahimsa daraus resultiert, ist es nicht mehr möglich, mit verschlossenen Augen zu konsumieren. Es ist auch nicht mehr möglich, absichtlich gewaltsam zu anderen Lebewesen zu sein. Je mehr du dich im Zustand des Yoga festigst, desto eher wirst du die Gewaltlosigkeit erreichen. Durch die Yogapraxis verändert sich dein ganzes biologisches System. Mein Lehrer sagte immer: «Wenn du wirklich Yoga praktizierst, ist es unmöglich, derselbe zu bleiben.» Und das ist wahr. Bei richtiger Übung bewegst du dich immer mehr zur Liebe, zur Liebe zu dir selbst und deinem kosmischen Wesenskern. Welcher ein Teil des unendlichen ist. Ein Teil Gott ist, wenn du so möchtest. Je näher du dem Zustand von Ahimsa kommst, desto fähiger wirst du, dein Ego zu transzendieren. Du wirst dir deinen unbewussten Tendenzen, Verhaltensmuster, Programmierungen und Triggern, nach denen du agierst und lebst bewusst und siehst so auch woher deine Taten kommen. Ist es ein Akt voller Gewalt oder frei davon? Wenn du es schaffst darüber zu reflektieren und zu sehen, woher dein Handeln kommt, wo der Ursprung deines Tuns ist, wirst du sehen, dass jede Art von Gewalt, sich auch immer gegen dich selbst richtet. Je mehr du dich in diesem Zustand der Gewaltlosigkeit üben kannst, desto mehr Dankbarkeit wird sich ausbreiten. Dankbarkeit für das einfache Sein. So, wie es der Moment gerade will. Du realisierst, dass du nicht die Kontrolle über die Welt hast genauso wenig über dein Leben. Also übst du keinen Widerstand gegenüber etwas, was so oder so nicht aufzuhalten oder zu kontrollieren ist. Wenn du Widerstand übst, gegenüber dem, was gerade passiert oder ist, dann wirst du nichts anderes können, als zu reagieren. Nehmen wir ein Beispiel, welches ich erfahren habe. Als ich über dieses Thema zum ersten Mal schrieb, das ist gut ein Jahr her, stand ich gerade auf einem Campingplatz in Griechenland, wo ich wieder einmal meine Wäsche waschen wollte und mein Wassertank meines Defender auffüllen musste. Da kam ein Mann zu mir, der sich etwas aufregte, wie ich mein Fahrzeug parkte. Er war aufgebracht, leicht gereizt, da ich seiner Meinung nach etwas zu nahe an seiner Abgrenzung stand. Wenn ich nun einfach reagieren würde, dann würde ich mit der gleichen Attitüde, also mit dem gleichen Akt von Emotionen mich ihm gegenüberstellen. Er ist aggressiv, also reagiere ich, wie es bei vielen von uns ganz als natürlich erscheinen würde. Ich verteidige oder greife an. Eine natürliche Reaktion könnte man meinen. Wenn ich aber im Zustand von Ahima, bzw. der Gewaltlosigkeit geübt bin, dann reagiere ich nicht, sondern ich nehme dieser Situation den Wind aus den Segeln. Ich bleibe also freundlich, gehe auf ihn ein. Ich versuche zu verstehen, wo sein Problem ist und am Ende frage ich, ob wir denn nicht gemeinsam kurz schauen möchten, wie ich am besten parken soll, sodass wir beide zufrieden sind. Das ist ein natürlicher Akt. Und nicht ein Akt, der aus einem verletzten Ego resultiert. Ich konnte aus seinem Gesicht ablesen, wie er selbst nicht genau wusste, wie er auf meine Art und Weise, wie ich der Situation entgegentrat, antworten sollte. Fazit ist: Wir sassen am Schluss gemeinsam am Tisch und genossen einen leckeren griechischen Kaffee. Mein Fahrzeug musste ich nicht neu parken. Er fand es dann ganz in Ordnung, so wie es war. 
Verstehst Du was ich meine? Alles was und wie wir etwas erfahren und erleben hat einen direkten Zusammenhang, ob wir frei von oder voll von gewaltvollen Gedanken sind. 

Wenn du dich in der Gewaltlosigkeit übst, wirst Du feststellen, dass deine Essenz, dein wahres Sein, dein innerster Kern, der schon immer unberührt von allen äusseren kulturellen, familiären, religiösen und gesellschaftlichen Einflüssen existierte, gewaltlos ist. Das ist deine wahre Natur, dein wahres Selbst. Du kannst selbst in diesem Moment entweder in Liebe zu dir sein, oder in Angst vor allem Leben. Die Liebe lässt dich gewaltlos erscheinen. Angst hingegen wird dich dazu bewegen, gewaltsam zu sein. Ich möchte es nochmals klarstellen. Ich spreche nicht nur von der äusseren Gewalt. Ich spreche von der inneren Gewalt, die der äusseren Gewalt vorangeht. Den düsteren Gedanken, die wir manchmal haben. Der Gedanke, besser als andere zu sein. Sich über andere gedanklich lustig zu machen. Und und und. All das ist nichts anderes, als gewaltsam gegen sich selbst zu sein und verursacht ein gewaltsames Verhalten. Wenn wir also das Bedürfnis haben, etwas für die Welt zu tun. Die Welt zu retten. Etwas für den Klimawandel zu tun. Menschen oder Tieren zu helfen. Dann ist der erste Schritt, sich in Ahimsa zu üben. Sich Richtung Yoga zu bewegen. Yoga zu praktizieren und nicht auf die Strasse rennen und voller Wut laut brüllen, weil gerade der Regenwald abgeholzt wird. Das ist nicht Nachhaltigkeit. Das ist Angst! Und Angst ist die Brutstätte von Gewalt. Ich hoffe du kannst das verstehen.
Genauso wenig spreche ich hier von dem Praktizieren von Hatha Yoga einmal in der Woche für 90 Minuten in einem Studio. Das ist nicht das Yoga, von dem ich hier spreche. Das ist nicht Ahimsa. Das ist nur ein kleiner Aspekt von Yoga, der aber dazu dient und dir dabei hilft, Gewaltlos mit dir und deinem Körper umzugehen. Mit Yoga meine ich das Engagement sich geistig, emotional und auch körperlich in eine Richtung zu begeben, die Freiheit, Liebe, Barmherzigkeit und Freude kultivieren soll. Liebe zu sich selbst und zu allem, was existiert. Ich möchte dich motivieren, ja sogar auffordern, einen Zustand von Yoga zu etablieren. Einen Zustand von Einigkeit mit dir selbst. Eins sein mit dir und allem was existiert. Vergiss nicht. Du kannst nur existieren, weil du ein Teil des Ganzen bist. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann lebst du getrennt von dem, was dich hervorgebracht hat.

Die Gewaltlosigkeit beginnt mit deinen Gedanken und endet mit deinen Gedanken. Es ist ein nie endender Kreislauf. Deine Taten sind nur das Produkt, wie du denkst und fühlst. Verändere deine Gedanken, so werden sich auch deine Gefühle und Emotionen verändern. Veränderst du deine Gefühle und Emotionen, verändern sich auch deine Gewohnheiten. Veränderst du deine Gewohnheiten, wird sich dein Leben verändern. Und wenn sich dein Leben verändert, wird sich alles um dich herum verändern.

Lass es wirken. Vielleicht kannst du etwas für dich und dein Leben mitnehmen.
Du darfst gerne kommentieren oder dich bei mir melden, falls du das Bedürfnis verspürst, dich hier noch tiefer mit mir auszutauschen.
Irgendwann in den nächsten Wochen werde ich das nächste Yama (Satya – Wahrheit) genauer vorstellen.


Have fun!

 

Shanti, Shanit, Shanti

Hari Om Tat Sat

Frieden, Frieden, Frieden

So soll es sein

 

In Liebe und Dankbarkeit

Yves

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Warum die «Wahrheit» nicht die «Wahrheit» ist. Und «Nicht-Stehlen» Dich nicht zum Heiligen macht.

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Offroad durch den Balkan